5. Dezember 2025

Das Datenblatt als neue Brandstory

Warum Produktdaten Marketing-Claims als primäres Vertrauensinstrument ablösen

Das Datenblatt als neue Brandstory

Warum Produktdaten Marketing-Claims als primäres Vertrauensinstrument ablösen

Der Digitale Produktpass macht nicht Transparenz zum Wettbewerbsvorteil, sondern die Fähigkeit, Transparenz interessanter zu erzählen als die Konkurrenz.

In den nächsten Jahren werden durch den Digitalen Produktpass (DPP) alle Marken einer Produktkategorie dieselben Daten liefern müssen. Die Frage ist nicht ob Unternehmen transparent sind, sondern wie sie aus Pflichtdaten eine Story machen, die bindet statt langweilt.

Produkte werden schon heute verglichen, zerlegt, gerated, zurückgeschickt und in Foren diskutiert. Und das alles in einer Detailtiefe, von der klassische Produktkommunikation in der Regel weit entfernt ist. Konsumenten stellen sich zurecht so Fragen wie:

  • Wo kommt das Produkt her?

  • Woraus besteht es genau?

  • Wie und unter welchen Bedingungen wurde es hergestellt?

Die Antworten? Meist fragmentiert, versteckt oder marketinggetrieben erzählt. Aber durch den Digitalen Produktpass wird das schon bald anders sein. 

Welche Marken trauen sich, diesen Schritt früher zu gehen und nutzen die Phase, bevor alle anderen nachziehen müssen?

Die Angst vor Transparenz ist da, aber die Alternative ist schlimmer

Viele Marken haben Respekt vor einem möglichen Kontrollverlust. Typische Sorgen:

  • „Unsere Daten sind nicht perfekt."

  • „Die Mitbewerber machen das auch noch nicht."

  • „Unsere Story wird dadurch zu technisch."

Aber: Die Kontrolle ist oft schon verloren.

Reddit-Threads zerlegen Lieferketten. YouTube-Teardowns zeigen, was in Produkten steckt. Rückrufdatenbanken dokumentieren Schwachstellen. LLMs und Vergleichsportale listen Specs neben denen der Konkurrenz. ChatGPT Shopping, Google SGE und andere KI-Shopping-Assistenten bevorzugen bereits heute Produkte mit strukturierten, überprüfbaren Daten.

Brands stehen damit vor der Wahl, ob sie ihre Story selbst gestalten möchten oder das Feld anderen überlassen.

Intransparenz ist damit oft sogar das größere Risiko als eine ehrliche Schwäche. Konsumenten vergleichen ohnehin, nur dann eben anhand externer Quellen oder Vermutungen. Marken, die eigene Daten proaktiv einbinden, sichern sich die Deutungshoheit.

Von der Story zum Beweis: Der Paradigmenwechsel in Zahlen

Zwei Entwicklungen drehen die Logik der Markenkommunikation gerade um:

1. Wissen ist kein Luxusgut mehr

Testberichte, YouTube-Reviews, Reddit-Threads, Produktpässe, QR-Codes am Gerät: wer etwas wissen will, findet es. Oder kauft etwas anderes.

73 % der Käufer erwarten sofortigen mobilen Zugriff auf Produktinformationen.1 Aber während der Großteil der marktführenden Unternehmen inzwischen robuste mobile-first Kanäle anbietet, haben kleinere Marken hier oft Nachholbedarf.

Nur 20% kaufen direkt beim Hersteller – 51% über Drittplattformen wie Amazon.2 Das heißt: Für mehr als die Hälfte Ihrer Kunden findet die Kaufentscheidung auf Plattformen statt, auf denen Sie im Grunde nur über Ihre Produktdaten existieren. Wer diese Plattformen nicht mit vollständigen, strukturierten Daten bedient, verliert Sichtbarkeit und damit Verkäufe. Gleichzeitig wandert die Kundenschnittstelle zur Plattform: Sie sammelt die Nutzerdaten, steuert die Kommunikation und formt das Kauferlebnis. Die direkte Kundenbeziehung des Herstellers schrumpft.

2. Misstrauen ist Default

Greenwashing-Debatten, Rückrufe, Skandale in Lieferketten: Konsumenten haben gelernt, Versprechen zu hinterfragen.

Das Ergebnis: Unternehmen, die weiterhin vage bleiben, wirken austauschbar. Unternehmen, die Daten liefern, werden greifbar.

Warum zu viel Offenheit Käufer vertreibt

A/B-Tests unserer Kunden haben gezeigt, dass Produktseiten mit allen verfügbaren Daten (15+ Datenpunkte) 5-10% schlechter konvertieren als solche mit den richtigen 5 Datenpunkten.

Hypothesen

  • Zu viele Infos triggern „Analysis Paralysis"

  • Konsumenten wollen nicht alles wissen. Sie wollen die richtigen Antworten auf ihre Fragen

  • Unstrukturierte Transparenz fühlt sich an wie ein ungefilteter Daten-Dump

Die Kunst liegt nicht in maximaler Transparenz, sondern in kuratierter Transparenz.

Vorher

Nachher

47-seitiges PDF mit allen Materialzertifikaten

„70% europäische Lieferketten" + Link zu „Mehr erfahren" für die, die tiefer einsteigen wollen

Komplette CO₂-Berechnung mit 23 Zwischenschritten 

„12kg CO₂ – 40% weniger als Vorgängermodell" + Vergleichs-Tool



Die Gewinner-Marken der 2030er werden nicht die mit den meisten Daten, sondern die mit der besten Daten-Dramaturgie sein.

Warum die Rechnung aufgeht: Transparenz als Wachstumshebel

Wer echte Produktdaten in seine Kommunikation integriert, schafft messbaren Business Value:

1. Mehr Vertrauen → höhere Conversion

Konkrete Angaben zu Herkunft, Materialien und Produktion senken die mentale Kaufhürde.

2. Weniger Retouren & Fehlkäufe

Klare Angaben zu Material, Kompatibilität und Einsatzgebiet reduzieren falsche Erwartungen.

3. Höherer Warenkorb bei erklärungsbedürftigen Produkten

Wer technische Details versteht, ist offener für sinnvolles Zubehör, Servicepakete oder Upgrades.

4. Neue Erlösströme durch Produktlebenszyklus-Services

  • Reparatur-as-a-Service: Über DPPs können Kunden direkt Ersatzteile identifizieren und bestellen

  • Second-Life-Märkte: Trade-In-Programme werden automatisiert – Kunde scannt Produkt und erhält Rückkauf-Angebot

  • Predictive Maintenance: Verschleißteile werden proaktiv angeboten, bevor das Produkt ausfällt

Das Problem ist nicht Monetarisierung, sondern schlechte Daten und fehlende Bereitschaft, sie zu nutzen.

Echte Produktdaten als Teil des Storytellings

Der Unterschied liegt nicht darin, ob Brands Produktdaten kommunizieren, sondern wie.

Statt vage Claims...

„Unsere Maschine ist besonders nachhaltig und langlebig."

...konkrete Beweise liefern:

Herkunft sichtbar machen:
„70% der Metallkomponenten stammen aus europäischen Lieferketten. Die Endmontage findet in [Ort] statt."

Materialklarheit herstellen:
„Gehäuse: 92% recycelbares Aluminium. Innenleben: modulare Komponenten, die einzeln getauscht werden können."

Produktion erzählbar machen:
„Jede Maschine durchläuft vor Auslieferung 3 definierte Prüfschritte. Die Prüfergebnisse bleiben in einem DPP nachvollziehbar."

Solche Daten müssen nicht trocken sein. Sie können:

  • Auf Landingpages als interaktive Timeline erscheinen (vom Rohstoff bis zum Einsatz)

  • Über QR-Code direkt am Produkt abrufbar sein

  • Als Vergleichstool aufbereitet werden („Dieses Modell vs. Vorgängermodell: -12% CO₂, +40% Reparierbarkeit")

So wird aus einem abstrakten Versprechen ein überprüfbares Leistungsangebot.

Das Paradox der Recherche-Ökonomie

Oft hört man: „Die Aufmerksamkeitsspanne ist so gering geworden. Keiner liest mehr."

Was nur bedingt richtig ist.

Für zufällig zugespülte Inhalte entscheiden Rezipienten über Relevanz in Sekunden. Aber für eine Küche, ein E-Bike, eine Wärmepumpe oder eine Maschine im vierstelligen Bereich? Da lesen dieselben Menschen 90 min ChatGPT-Ergebnisse, schauen sich 3 YouTube-Reviews an und vergleichen 17 Specs.

Die Brands, die diese Recherche-Arbeit für den Kunden erledigen (statt sie zu anderen Quellen zu treiben) gewinnen.

Menschen haben keine Geduld für irrelevanten Content. Für Inhalte, die ihnen helfen, eine gute Kaufentscheidung zu treffen, investieren sie sehr wohl Zeit.

Welcher Transparenz-Typ sind Sie?

Nicht jedes Unternehmen startet am gleichen Punkt. Die Strategie unterscheidet sich fundamental, aber alle drei Typen sollten jetzt starten.


Typ A – Premium-Differenzierer

Profil: Starke ESG-Story, gute Datenlage im PIM, digitale Infrastruktur bereits vorhanden

Strategie: Nutzen Sie volle Transparenz als Alleinstellungsmerkmal. Bauen Sie DPPs mit Storytelling, Cross-Selling und Community-Features. Machen Sie aus Compliance ein Erlebnis.

Vorteil: Sie setzen den Standard, den andere nachziehen müssen. In 2 Jahren sind Sie die Benchmark.

Typ B – Pragmatischer Follower

Profil: Daten sind in Ordnung, aber Lücken vorhanden. Manche Zuliefererdaten fehlen noch.

Strategie: Starten Sie mit 1-2 Pilotprodukten. Kommunizieren Sie ehrlich: „Diese Daten haben wir bereits. An diesen arbeiten wir noch." Nutzen Sie den Pilot, um Prozesse zu lernen.

Vorteil: Sie zeigen Bewegung und Glaubwürdigkeit, ohne perfekt sein zu müssen. Ehrlichkeit über Lücken schafft mehr Vertrauen als vage Versprechen.

Typ C – Compliance-Getriebener

Profil: Chaotische Datenlage, verteilt in Silos, teilweise nur in Excel

Strategie: Fokus auf interne Infrastruktur: PIM-System aufräumen, Governance definieren. Extern kommunizieren Sie erstmal nur die 3 Kernfragen für ausgewählte Produkte.

Vorteil: Sie bauen das Fundament richtig, statt übereilt Halbwahrheiten zu publizieren. Besser spät und solide als zu verfrüht und unsauber.

Der 3-Schritte-Einstieg: Wie Marken starten, ohne alles auf einmal umzudrehen

Transparenz muss kein riesiges Projekt sein. Ein möglicher Einstieg:

1. Ein Produkt als Pilot wählen

Ideal: Ein hochpreisiges, erklärungsbedürftiges Produkt mit spürbarem After-Sales-Aufwand.

2. Die drei Kernfragen explizit beantworten

  • Wo kommt es her?

  • Woraus besteht es?

  • Wie wurde es produziert?

In maximal klarer Sprache, unterstützt durch visuelle Elemente (Grafiken, Fotos, kurze Videos).

3. Daten Schicht für Schicht aufbereiten

  • Oben: Kurze, verständliche Zusammenfassung („Auf einen Blick")

  • Darunter: Detail-Tabs für Menschen, die tiefer einsteigen möchten (Material, Fertigung, ESG, Service)

  • Am Produkt: QR-Code direkt am Produkt → Transparenz wird auch nach dem Kauf erlebbar

4. Messen, wie Transparenz wirkt

  • Zeit auf der Seite

  • Conversion Rate

  • Retourenquote

  • Anteil der Besucher, die zusätzliche Services oder Zubehör wählen

Das First-Mover-Window schließt sich schon sehr bald

Drei Entwicklungen laufen parallel und verkürzen das Zeitfenster erheblich:

1. EU-Produktpass-Pflicht startet 2027 für erste Branchen (Textil, Elektronik, Batterien)
Ab dann ist Transparenz keine Kür mehr, sondern Pflicht. Bis 2030 werden 90 % aller Produktportfolios in der EU einen DPP benötigen.3

2. Amazon testet bereits Sustainability Scores basierend auf Herstellerdaten
Wer keine strukturierten Daten liefert, wird im Ranking abgestraft. Wer sie liefert, aber nicht selbst nutzt, verliert die Customer Experience an die Plattform.

3. GenAI-Shopping-Assistenten bevorzugen strukturierte Daten
ChatGPT Shopping, Google SGE, Perplexity Shopping – alle bevorzugen Produkte mit maschinenlesbaren, verifizierbaren Daten. Wer 2027 nur PDFs hat, ist unsichtbar.

Wer 2027 nur Compliance liefert, ist im Nachteil, denn die Early Adopters werden bis dahin die Customer Expectations schon neu gesetzt gehaben.

Die Frage ist nicht mehr „Transparenz ja oder nein?", sondern: „Gestalten wir Transparenz aktiv oder überlassen wir sie anderen?"

Fazit: Mut zur Lücke und Mut zur Wahrheit

Marken, die heute beginnen, ihre echten Produktdaten Teil ihres Storytellings werden zu lassen, schaffen drei Dinge auf einmal:

  1. Sie machen ihren Wert konkret und nachvollziehbar.

  2. Sie reduzieren Reibung in der Kaufentscheidung.

  3. Sie legen die Basis für neue Geschäftsmodelle rund um Service, Reparatur und Zweitnutzung.

Wer in fünf Jahren noch Claims statt Beweise liefert, wird ignoriert: von ChatGPT, Google SGE, Perplexity und in letzter Konsquenz von seiner Zielgruppe.

Ihre Brand als data-driven Storyteller oder reiner Datenlieferant. Beide Szenarien sind möglich.

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1Gitnux 2025 | Customer Experience in the Industrial Industry Statistics | gitnux.org2Akeneo 2025 | New Akeneo Survey Reveals Reviews, Transparency, and Trust Outweigh Discounts in 2025 Holiday Shopping | prnewswire.com3Estimated value based on expert assessments

Leopold Holverscheid // Product Marketing @sqanit

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